Das Herz macht keine Fehler

 

 

 

von Mayla Hart


 

 

 

 

»Wie kann etwas, das sich so absolut richtig anfühlt, denn falsch sein?«

 

 

 

Bis zu ihrem 5. Lebensjahr wächst Dita in einem Waisenhaus auf und alles, was sie sich wünscht, ist eine Familie. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als ihr Vater sie endlich findet. Er entführt sie in eine Welt, in der sie wie eine Prinzessin lebt und alle ihre Wünsche erfüllt werden.

 

Thane Harrington ist der begehrteste Junggeselle New Yorks: Er ist arrogant, er ist unermesslich reich und er sieht aus wie ein junger Gott. Und er ist bestimmt nicht das, was man sich unter einem guten Vater vorstellt. Doch als er erfährt, dass er eine Tochter hat, ändert er sein Leben. Aus dem rücksichtslosen Womanizer wird ein alleinerziehender Vater, für den Ditas Glück an erster Stelle steht.

 

15 Jahre vergehen. 15 Jahre, in denen Dita und Thane nicht ahnen, dass sie beide manipuliert wurden und eine Lüge leben…

 

 

 

Doch je älter Dita wird, umso mehr spürt sie, dass ihre Gefühle für Thane nicht so unschuldig sind, wie sie sein sollten. Er ist ihr bester Freund, ihr Held, ihr Beschützer und sie liebt ihn mehr, als sie in Worte fassen kann. Doch sie schämt sich viel zu sehr, um jemals aussprechen zu können, wie viel sie wirklich für ihn empfindet.

 

Bis zu diesem Tag, an dem ihr ein Fremder begegnet, der beweist: Sie ist nicht die, die sie glaubt …

 

 

 

»Das Herz macht keine Fehler« - die außergewöhnlichste Liebesgeschichte des Jahres, voller Geheimnisse und unausgesprochener Sehnsüchte. Ein Buch, das zeigt: Leidenschaft besiegt alle Regeln.

 

»Das Herz macht keine Fehler« ist der erste Teil der Heartbreaker-Trilogie. Der zweite Teil erscheint im Februar. Die drei Teile umfassen zusammen über 1100 Seiten.

 

Bitte die Trigger-Warnung beachten!


 

 

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© by Autor, 2018

 

 

 

Photo © OlScher, Stockfoto-ID: 595424060


 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

ACHTUNG: Trigger-Warnung

 

 

 

Auch wenn in diesem Buch zu keinem Zeitpunkt eine Form von inzestuöser Liebe vorkommt, zieht sich dieses Thema durch die ganze Geschichte. Wer in dieser Hinsicht Bedenken oder sogar schlechte Erfahrungen gemacht hat, den bitte ich DRINGEND, dieses Buch nicht zu lesen!


Vorwort

 

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

 

 

die Idee zu dieser Geschichte spukt schon sehr lange durch meinen Kopf. Aber ich habe eigentlich nie vorgehabt, sie wirklich zu veröffentlichen, weil das Thema doch schon sehr ungewöhnlich ist.

 

Je länger ich daran geschrieben habe, umso mehr fühlten sich die Worte, die Protagonisten und die Handlung einfach richtig an. Nachdem ich von einigen Testlesern gutes Feedback bekommen habe, hat mich das ermutigt, diesen Schritt doch zu gehen.

 

Mir ist bewusst, dass ich damit ein Wagnis eingehe. Ich hoffe einfach darauf, dass diejenigen, die sich dazu entscheiden, diesen Roman zu lesen, den Klappentext und die Trigger-Warnung beachtet haben und wissen, was sie ungefähr erwartet.

 

 

 

Viel Spaß und ein paar schöne Stunden wünscht Dir

 

Deine Mayla


 

 

1

 

 

 

 

 

Ɗita

 

 

 

 

 

»Mein Gott! Dein Dad ist sowas von heiß!«, lachte Elle neben mir.

 

Ich riss die Lider auf, die grelle Sommersonne trieb mir sofort die Tränen in die Augen. Langsam drehte ich den Kopf in Elles Richtung. »Hör auf damit!«, sagte ich grinsend.

 

Elle räkelte sich auf der Sonnenliege, die direkt neben meiner stand. Ihr Blick glitt wieder zum Swimmingpool. Mit der Hand fächelte sie sich Luft zu. »Er ist heiß. Ist nur eine Feststellung.«

 

»Lass das!«, lachte ich, hielt mich an den Lehnen meiner Liege fest und setzte mich auf. »Wie fändest du es, wenn ich sowas über deinen Dad sagen würde?«

 

»Ich fänd’s komisch«, antwortete Elle und zog die Mundwinkel herunter. »Meiner ist 60 Jahre alt, hat einen Bierbauch und kaum noch Haare. Aber deiner …«

 

»Alles klar«, unterbrach ich sie und winkte ab. »Belassen wir es einfach dabei.«

 

»Tja«, sagte Elle und rückte die Sonnenbrille auf ihrer Nase zurecht, »er ist jedenfalls ein Anblick für die Götter.« Ein vergnügtes Schmunzeln legte sich auf ihre Wangen.

 

Grummelnd ließ ich mich zurückplumpsen. Ich schaute ebenfalls zum Pool. Mein Vater saß dort am Beckenrand und ließ die Beine ins Wasser baumeln. In den Händen hielt er ein Buch. Empire Falls. Das hatte ich ihm empfohlen.

 

Elle hatte recht. Er sah gut aus. Verdammt gut. So als wäre er einem Werbeplakat für teures Herrenparfum oder Luxusuhren entstiegen.

 

Es gab nur wenige Frauen auf dieser Erde, die seiner rauen Sinnlichkeit widerstehen konnten. Selbst meine Freundinnen gerieten bei ihm ins Schwärmen – obwohl er mit seinen 38 Jahren eigentlich ein bisschen zu alt für sie war. Tatsache war aber: Die wenigen Falten, die er hatte, machten sein schönes Gesicht nur noch markanter.

 

Wäre er einfach nur irgendjemand gewesen, hätte ich garantiert auch einen zweiten Blick riskiert. Groß, dunkelhaarig, muskulös, blaue Augen – wer ließ sich das entgehen? Natürlich konnte ich Elle nicht verbieten, dass ihr das auffiel. Aber ich wollte es trotzdem nicht hören. Nicht von ihr zumindest – sie war meine beste Freundin.

 

Plötzlich sprang Elle auf. »Lass uns schwimmen gehen!«

 

Mit einem schrägen Grinsen sah ich ihr hinterher. Schließlich rappelte ich mich hoch und bückte mich nach meinem Haargummi, das auf dem frisch gemähten Rasen lag. Mit einer flinken Handbewegung band ich meine schulterlangen, kupferfarbenen Haare zurück.

 

Elle hopste fröhlich zum Pool. Ihre blonde Mähne wehte im Wind. Der knappe, schwarze Bikini bedeckte wirklich nur das Nötigste ihres zierlichen Körpers.

 

Mein Dad sah kein einziges Mal auf. Auch dann nicht, als Elle sich auf der anderen Seite des Pools grazil ins Wasser gleiten ließ, obwohl sie vor dem Sprung noch ein bisschen posiert hatte.

 

Es wunderte mich nicht, dass Elle ihn nicht interessierte. Das hatte nichts mit ihr zu tun. Elle war der Traum aller Männer zwischen 13 und 100. Aber meinen Vater reizte sie trotzdem nicht. Er schien absolut immun gegen alle Formen weiblicher Versuchungen zu sein.

 

Meine Tante sagte, das läge einfach daran, dass er früher keiner Gelegenheit aus dem Weg gegangen war. Er hätte genug erlebt für ein ganzes Menschenleben, behauptete sie. So ganz stimmte das aber nicht. Ich hatte allerdings eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, was es eigentlich bedeutete, wenn er mal wieder länger im Büro blieb.

 

So oder so – die wilden Jugendjahre meines Vaters waren legendär in unserer Familie – und auch darüber hinaus. Und ich war das Produkt von einem dieser zahllosen Abenteuer, die er gehabt hatte.

 

Meine Grandma meinte, es wäre ein Wunder, dass ihm nicht noch mehr Ausrutscher passiert waren.

 

Langsam wanderte ich über den Rasen zum Pool. Die Grashalme kitzelten mich unter den Fußsohlen.

 

Ich liebte diesen riesigen Garten mit den duftenden Rosenbüschen und Zitronenbäumen. Mein Dad und ich verbrachten fast jedes Wochenende in unserem Haus am Strand. So auch diesen Samstag, es war Spätsommer und die Sonne versank bereits, doch die Temperatur lag noch immer bei gut 30 Grad.

 

Ja, die Sommer hier waren herrlich. Aber wenn ich ehrlich war: Ich liebte die Winter noch viel mehr. Wenn die Kiefern am Strand sich unter der Schneelast beugten und das Meer rau und stürmisch war. Wenn ein Feuer im Kamin loderte und prasselte und wir es uns auf der Couch gemütlich machten, um einen der krawalligen Action-Filme zu sehen, die mein Dad so liebte. Nirgends konnte man die Ruhe des Winters so sehr genießen wie hier.

 

Das Anwesen lag am nördlichen Zipfel von Sands Point auf Long Island. Es befand sich inmitten einer Gegend, in der die Häuser so statthaft waren, dass die Besitzer ihnen Namen gaben. Unseres hatten wir Rainbow's End getauft. Es war eine alte Villa im Kolonialstil. Sie war schneeweiß, das Dach war mit verspielten Gauben geschmückt und die Fassade wurde von Erkern und Balkonen aufgelockert. Man fühlte sich in eine längst vergangene Ära versetzt, in der die Damen noch Diven und die Herren echte Gentleman gewesen waren.

 

Von hier schien die große Stadt weit weg zu sein, aber man konnte in kurzer Zeit genau dorthin zurück. Deswegen war Sands Point so beliebt bei Leuten, die in der City arbeiteten, aber gerne am Meer und mitten im Grünen wohnen wollten.

 

Elle zog ein paar Bahnen im Pool. Mir war eigentlich gar nicht so sehr nach Abkühlung. Stattdessen ging ich zu meinem Dad hinüber. Seine braungebrannte Haut glänzte feucht in der warmen Sonne. Er trug nur eine dunkle Shorts.

 

Während ich hinter ihm entlangschlenderte, betrachtete ich das Tattoo auf seinem Unterarm. In dunkelblauen Buchstaben stand dort: Go ahead – make my day. Ein Andenken an seine wilde Zeit. Natürlich hätte er es entfernen lassen können, aber vielleicht dachte er ja dann und wann gerne an damals zurück.

 

Ich ließ mich neben ihn sinken, streckte die Beine aus und tippte mit den Zehenspitzen aufs Wasser. Dann spähte ich ihn an.

 

In seiner Nähe kam ich mir immer so zerbrechlich vor. Er war mit seinen 1,93 auch gut 35 Zentimeter größer als ich. Im Gegensatz zu mir war er so hart, muskulös, austrainiert. Ich hingegen hatte zwei, drei Kilo zu viel auf den Rippen. Nicht, dass mich das störte. Aber im Vergleich zu ihm war ich irgendwie … weich.

 

»Ist es gut?«, fragte ich und nickte auf das Buch hinunter.

 

»Mh«, machte er und wiegte den Kopf. Ich mochte es, wenn er Mh machte. Es klang wie ein leises Knurren. Mein Dad hatte eine tiefe, raue Stimme. Sie erinnerte mich an das Gefühl von Sand, der zwischen den Fingern hindurchrieselt. »Wenn ich das so lese, bin ich jedenfalls froh, dass ich nie geheiratet habe.«

 

Ich kicherte. »Liam kommt nachher vorbei«, sagte ich dann und lugte meinen Dad gespannt an.

 

Kurz zögerte er. Schließlich machte er: »M-hm.« Es klang überaus neutral. Bemüht neutral.

 

Unwillkürlich musste ich grinsen. »Stört es dich, wenn er über Nacht bleibt?«

 

»Nein. Wieso sollte es?«, fragte er und hob die Schultern.

 

»Ich dachte nur … O, ich wette, er würde sich total freuen, wenn wir heute alle zusammen Abendessen«, sagte ich mit einem neckischen Unterton. »Ich hab ihm von deiner Paella erzählt. Und stell dir vor: Liam liebt Paella.«

 

Mein Dad räusperte sich kehlig. Dann hielt er kurz inne. Nickte. Schließlich raunte er: »Sicher.« Allmählich verriet er sich. Dieses ›Sicher‹ klang wie ein Seufzen.

 

»Oh hey!«, japste ich. »Heute Abend kommt doch ein Spiel der Indians. Du weißt ja, Liam ist ein totaler Sportfreak. Das könntet ihr doch zusammen ansehen.«

 

Ich konnte dabei zuschauen, wie er sich mehr und mehr verkrampfte. Seine ohnehin breiten Schultern wurden noch sehniger, die Adern aus seinem Hals traten hervor, seine Kiefermuskeln zuckten. »Ich denke«, sagte er brummend, »ein süßes Turtelpaar wie ihr sollte doch etwas Besseres mit seiner Zeit anzufangen wissen.«

 

Kichernd gab ich zurück: »Du kannst ruhig zugeben, dass du Liam nicht magst.«

 

Endlich schaute er mich an. Seine blauen Augen strahlten mit dem wolkenlosen Himmel um die Wette. Und ich fand, mein Dad hatte gewonnen. Aber das tat er ja immer.

 

»Ich mag ihn nicht besonders«, sagte er. Absolut entschieden, aber doch kein bisschen ärgerlich. »Aber er ist ein …« Kurz unterbrach er sich. Offenbar suchte er nach einem harmlosen Wort. »netter Kerl. Das meine ich ernst. Er ist höflich, er ist umgänglich, sehr zuvorkommend und so weiter. Also – ich stehe eurem Glück nicht im Weg. Aber halt mich da raus.«

 

Grinsend hob ich die Brauen. »Du findest ihn langweilig.«

 

»Ich finde, er ist langweilig und er ist ein Schleimer.«

 

»Echt?«, fragte ich scheinbar völlig erstaunt. »Fandest du es etwa schleimig, als er gesagt hat, er hätte auch gerne so tolle Autos wie du? Oder dass du die weltbeste Weinsammlung hast? Oder dass deine Crème Brûlée besser schmeckt als alles, was er jemals gegessen hat? Fandest du das etwa schleimig?« Nur mit größter Anstrengung konnte ich ein lautes Lachen unterdrücken.

 

Mein Vater legte den Kopf schief und schenkte mir einen amüsierten Sei nicht so aufmüpfig-Blick. »Tja, ich schätze, er will unbedingt, dass ich ihn mag.«

 

»Und genau damit hat er’s verhauen, hm?«

 

»Ehrlichkeit gefällt mir besser.«

 

»So?« Mit einem spitzen Grinsen nickte ich ihm zu. »Dann muss ich dir ganz ehrlich sagen: So gut ist deine Crème Brûlée nicht.« Bevor er etwas erwidern konnte, ließ ich mich von der Kante rutschen und tauchte tief unter.

 

Ich stieß mich vom Beckenrand ab, machte mich ganz gerade und ließ mich treiben. Als ich dann wieder auftauchte, drehte ich mich auf den Rücken und paddelte ein bisschen mit den Armen.

 

Mein Dad saß noch immer am Beckenrand. Er schenkte mir ein launisches Lächeln.

 

»Aber deine Paella ist wirklich ok!«, rief ich ihm zu.

 

Amüsiert schüttelte er den Kopf, dann stand er auf. Ich sah ihm nach, während er durch den Garten zur Terassentür ging. Bei jedem Schritt bewegten sich die definierten Muskeln in seinen Armen, seinem Bauch, seinen athletischen Beinen.

 

Ich tauchte wieder unter und schwamm bis zum Boden des Schwimmbeckens. Die kühlende Nässe kribbelte in meinem Nacken. Ein entspannendes Ziehen lief über meine Kopfhaut.

 

Erst als die Gier nach Sauerstoff nicht mehr auszuhalten war, tauchte ich wieder auf. Tief holte ich Luft und blinzelte in den schönen Himmel hinauf.

 

Elle schwamm zu mir. »Was machst du am nächsten Wochenende? Am Samstag gibt’s mal wieder eine Regatta. Wollen wir hin?«, fragte sie.

 

»Keine Zeit. Wir sind bei meinen Großeltern zum Essen eingeladen.«

 

»Uh«, machte Elle und zog eine Schnute. Sie wusste sehr genau, dass diese Familientreffen nicht gerade zu meinen Hobbys gehörten. »Gibt’s wieder Kaviar und Schampus?«

 

»Ja, garniert mit einem Haufen guter Ratschläge und Ideen, was ich besser machen könnte«, antwortete ich entnervt.

 

»Was stört sie denn? Du bist 20 und Multimillionärin. Wo ist das Problem?«

 

»Sie meinen zum Beispiel, ich sollte doch einfach hier bleiben. Warum denn auch studieren? Das ist doch so überflüssig. Und dann auch noch Musik? Wozu das denn? Musik ist nur ein Hobby – sagen meine Großeltern«, erwiderte ich und rollte mit den Augen.

 

»Ich will auch nicht, dass du studieren gehst«, sagte Elle grinsend, »dann sehen wir uns nicht mehr so oft. Aber was haben deine Großeltern dagegen? Meine Familie wäre froh, wenn ich endlich mal was Sinnvolles machen würde.«

 

»Sie meinen, das wäre nicht nötig. Ich werde später ja sowieso die Firma erben, sagen sie. Aber arbeiten sollen dort lieber andere. Wahrscheinlich wäre es ihnen am liebsten, wenn ich mich auf Charity-Veranstaltungen herumtreibe und tolle Dinner-Partys gebe. Alles zum Ruhm der Familie Harrington«, spottete ich.

 

Aber: Das war nicht die ganze Wahrheit. Es gab noch einen anderen Grund, weswegen meine Großeltern es gerne gesehen hätten, wenn ich, statt ans Berklee College of Music nach Boston zu gehen, hier geblieben wäre. Und der hatte mit meinem Vater zu tun. Jeder in der Familie wusste das, aber niemand sprach es aus.

 

 

 

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2

 

 

 

 

 

Ƭhane

 

 

 

 

 

»Auf Wiedersehen, Mr. Harrington«, flötete Elle Watkins mir zu.

 

Ich stand in der Küche und bereitete das Abendessen vor. Sie hatte sich in die Küchentür gelehnt und winkte neckisch. Mit ihren großen, blauen Augen lugte sie mich verwegen an. Und dann rutschte ihr ganz zufällig der Träger ihres weißen Sommerkleidchens über die Schulter. Ihr zartrosaner Spitzen-BH kam zum Vorschein. Scheinbar peinlich berührt zog sie den Träger wieder hoch.

 

»Mach’s gut, Elle«, erwiderte ich nickend. Absolut tonlos – was mir nicht schwerfiel. Sie war bestimmt ein hübsches Mädchen und so weiter. Aber sie ließ mich trotzdem absolut kalt. Ich vermutete auch, ihre Flirtversuche waren nur ein Späßchen. Ein Zeitvertreib. Ein kleiner Nervenkitzel. Jedenfalls hoffte ich das … Elle war gerade mal so alt wie meine Tochter und auch noch deren beste Freundin.

 

Mit einem schmalen Lächeln sah ich ihr nach, wie sie an Ditas Seite zur Tür trippelte.

 

»Sie ist ziemlich schräg«, sagte ich zu Dita, als sie wieder in die Küche kam. »Das hat sie von ihrer Mutter.«

 

Die Familie Watkins lebte ebenfalls in New York. Eine alte Familie wie unsere. Dita und Elle waren zusammen in die Schule gegangen. Ich kannte Elles Eltern ganz gut. Besser als mir lieb war, um genau zu sein. Ihr Vater war ein geschwätziger, prahlerischer Wichtigtuer, der nichts im Leben erreicht hatte, aber sich viel auf sein Erbe einbildete. Seine Frau Ginger war zumindest unterhaltsam – auf eine kuriose Art und Weise. Sie hatte ihre Tochter nach einer Modezeitschrift benannt, das sagte doch alles, oder? Jedenfalls war es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Watkins ganz ausgezeichnet mit meinen Eltern verstanden. Genau der gleiche Schlag.

 

Aber ich verstand schon, warum Dita Elle so gerne mochte. Sie war immer gut gelaunt, lustig, ziemlich albern. Elle nahm die Dinge nicht so schwer, wie Dita das oft tat.

 

»Und sie steht auf dich«, sagte Dita kichernd und trat dann an die Kücheninsel heran. Sie schaute in die Schüsseln, die dort standen. Dann pickte sie sich eine Erdbeere heraus und saugte genüsslich daran.

 

Ich drehte ihr den Rücken zu. »Ist mir inzwischen aufgefallen«, sagte ich unbeeindruckt.

 

Dita stellte sich neben mich, stützte sich mit den Handballen auf die Küchenzeile und schaute mir zu, wie ich die Tomaten zerteilte. Sie trug noch immer ihren Bikini und hatte einen leichten schwarzen Morgenmantel übergeworfen.

 

Ich warf ihr einen Blick von der Seite zu. Aus ihren Haarspitzen tropften kleine Wasserperlen auf ihre Schultern. Obwohl der Sommer fast zu Ende war und Dita und ich jedes Wochenende im Freien verbracht hatten, war sie noch immer ziemlich blass. Ditas Haut war makellos, sehr hell, durchscheinend. An ihren Handgelenken konnte man die Adern durchschimmern sehen und wenn sie sich aufregte, wurde ihr Gesicht leuchtend rot.

 

Sie sah ihrer Mutter wirklich sehr ähnlich. Sie hatte den gleichen verträumten Blick, so als wäre ein Teil von ihr immer ganz woanders – in einer Welt, in die nur sie Zutritt hatte. Und sie hatte auch das spitze Kinn und die Apfelbäckchen von ihrer Mutter geerbt.

 

Vielleicht war Dita keine klassische Schönheit, aber in meinen Augen war sie schon immer die Schönste von allen.

 

Weil ich sie schon zu lange ansah, kehrte ich mich schnell ab.

 

»Kann ich dir helfen?«, bot sie an.

 

»Ja, du kannst draußen Kaninchen jagen gehen. Oder wir machen der Einfachheit halber Paella marisco«, erwiderte ich.

 

»Ich mag es mit Meeresfrüchten sowieso mehr«, erwiderte sie grinsend, dann ging sie hinüber zum Kühlschrank. »Vorhin habe ich mal nach Wohnungen geschaut. In der Nähe des Campus' gibt es jede Menge Wohnheime. Nur für Berklee-Studenten. Aber ich glaube, wenn ich dort wohne, werde ich nie abschalten können. Außerdem wird mir das Meer fehlen. Ich liebe es einfach, morgens aufzustehen und aufs Wasser zu gucken. Vielleicht dann doch besser eine eigene Wohnung? Am Hafen? Ich weiß nicht.« Während sie die Meeresfrüchte im Waschbecken abspülte, hielt sie inne. »Aber ich … weiß gar nicht, ob ich wirklich alleine wohnen will.«

 

In gut einem Monat startete die Uni. Genau am Montag nach Ditas 21. Geburtstag begann das Semester. Nicht mehr viel Zeit. Auf ihre Aufnahmeprüfung hatte Dita sich extrem penibel vorbereitet, aber als es dann an die Planung ihres nächsten Lebensabschnitts gegangen war, hatte ihre Motivation ganz schön nachgelassen.

 

»Eine Wohngemeinschaft?«, fragte ich verwundert.

 

»Ja, warum nicht?« Sie zuckte die Achseln. »Du hast früher auch mit Freunden zusammengewohnt.«

 

»Erstens, das waren keine Freunde. Und zweitens, das hat mir nicht gut getan.« Nicht, dass es besser geworden wäre, als ich dann meine eigene Wohnung gehabt hatte. Ich war sowieso immer ein Einzelgänger gewesen. Nun, jedenfalls immer dann, wenn ich nicht eine beliebige Anzahl junger, schöner Frauen um mich herum gehabt hatte.

 

Dita betrachtete mich schmunzelnd. »Hast du etwa Angst, dass ich den ganzen Tag Party bis zum Umfallen mache und mich durch die halbe Stadt vögele?«, fragte sie vorwitzig.

 

»Dir ist klar, dass ich dann kommen muss, um dich zu retten, oder? Das wäre dir doch garantiert schrecklich peinlich, wenn dein alter Herr vor deinen ganzen coolen Freunden auftaucht und dich nach Hause schleppt.«

 

»Ach«, sagte sie amüsiert, »so peinlich bist du nicht.«

 

»Danke«, murmelte ich und lächelte sie an.

 

Ich gestand es mir nicht gerne ein, aber ein Teil von mir wollte nicht, dass sie ging. Sie würde mir fehlen. Sehr fehlen. Dita war der einzige Mensch auf dieser großen, weiten Welt, mit dem ich freiwillig und gerne Zeit verbrachte. Es machte mich einfach glücklich, wenn sie in meiner Nähe war.

 

Aber ich wusste auch, dass sie alt genug war. Und sie war vernünftig und klug und konnte sich wehren. Ich sagte mir, ich musste mir keine Sorgen um sie machen. Natürlich half das aber nichts. Ich machte mir Sorgen. Wie könnte ich nicht?

 

»Also, was hältst du davon?«, wollte sie wissen.

 

Abwägend hob ich die Schultern. »Das ist deine Entscheidung. Was für eine WG soll es denn sein? Zu zweit, zu dritt? Frauen oder auch Männer?«

 

»Ich würde mal sagen: mindestens 20. Und natürlich ausschließlich junge, gut gebaute Männer«, sagte sie schnurrend.

 

Ich war zu gewieft, um aus der Fassung zu geraten. Stattdessen meinte ich: »Wenn du das wirklich willst. Du weißt ja, wie viel Dreck Männer machen.«

 

»Ich kann sie doch einfach gut erziehen. Mit dir hat das ja auch geklappt.« Sie zwinkerte mir zu.

 

Ditas Schlagfertigkeit beeindruckte mich immer wieder. »Vielleicht solltest du nicht Musik studieren, sondern Kratzbürstigkeit für Fortgeschrittene«, schlug ich vor.

 

Kichernd verschränkte sie die Arme. »Nicht frech werden, Thane. Sonst bleibe ich auch an den Wochenenden weg.«

 

Mein Lächeln wurde schmäler – und sehr irritiert. »Hast du denn vor, jedes Wochenende nach Hause zu kommen?«

 

Auch Dita war mit einem Mal ganz verwundert. »Ja.« Sie schaute mich nachdenklich, fast etwas unsicher an. »Wer soll denn sonst meine Wäsche waschen?«, witzelte sie, aber der Scherz zündete nicht. Zaghaft hob sie die Mundwinkel, aber ich konnte sehen, wie sie grübelte.

 

»Mit dem Auto brauchst du mindestens dreieinhalb Stunden. Wie stellst du dir das vor?«

 

»Dann eben mit dem Zug.«

 

»Das dauert vier Stunden.«

 

Sie zuckte die Achseln. »Ich kann die Zeit ja nutzen. Zum Lernen.«

 

»Du willst also dein halbes Wochenende im Zug verbringen?«

 

»Wenn es nicht anders geht.« Sie nickte mir zu.

 

Manchmal fragte ich mich ja, ob dieses verrückte Leben, das Dita meinetwegen führte, wirklich gut für sie gewesen war. Sie hatte die meiste Zeit mit schrägen, geldgeilen Leuten zu tun gehabt. Auf materielle Dinge hatte sie nie verzichten müssen. Aber solche Gespräche wie dieses zeigten mir, dass sie glücklicherweise auf dem Boden geblieben war. Denn es gab da durchaus noch eine weitere Möglichkeit, die Dita aber offenbar nicht mal in den Sinn kam, nämlich den Privatjet. Das hätte viel Zeit gespart. Allerdings kostete so ein Flug samt Stellkosten, Instandhaltung und Treibstoff ein paar tausend Dollar – pro Minute. Theoretisch hätten wir uns das leisten können. Ich hielt das aber für eine reine Verschwendung. Allerdings kannte ich viel zu viele Leute, die ihren Jet wie ein alltägliches Fortbewegungsmittel benutzten und nicht einmal auf die Idee gekommen wären, ein öffentliches Verkehrsmittel zu betreten. Meine Dita war zum Glück nicht so. Anscheinend hatte ich bei meiner Erziehung nicht komplett versagt.

 

»Sieh es dir doch erstmal an«, sagte ich. »Wahrscheinlich wirst du nach ein paar Tagen gar nicht mehr dort weg wollen.«

 

Gedankenverloren ließ sie den Blick sinken. In diesem Moment sah sie wirklich niedergeschlagen aus.

 

»Mal sehen«, murmelte sie und lächelte tapfer.

 

»Um mich musst dir keine Sorgen machen. Ich halte das schon aus. Ich kann auch alleine meinen Spaß haben.«

 

»Haha«, machte sie kopfschüttelnd. »Du hasst Spaß. Ohne mich vereinsamst du doch total.«

 

»Wichtig ist, dass du etwas tust, das dir Spaß macht, Dita. Etwas, das dich glücklich macht.«

 

Dita seufzte leicht. »Jedenfalls denke ich, eine WG wäre gar nicht schlecht. Ich hab gerne Leute um mich rum.«

 

»Sicher. Wie du willst. Aber achte drauf, dass diese Leute ordentliche, strebsame Leute sind. Ich weiß, wovon ich rede.«

 

»Keine Sorge. Ich bin jetzt schon vernünftiger, als du es je sein wirst.«

 

Ich musste lachen. So ganz unrecht hatte sie nicht.

 

Es war schon erstaunlich, dass Dita trotz all der merkwürdigen, erschreckenden und zweifelhaften Dinge, die ihr widerfahren waren, trotzdem so normal geworden war. In mancher Hinsicht war sie vielleicht etwas weltfremd, ein bisschen zu verträumt. Aber sie hatte andere Stärken. Sie war selbstlos, ehrgeizig, rücksichtsvoll und großzügig. Sie konnte gut mit Menschen umgehen, war witzig und geduldig. Ja, manchmal war sie sogar etwas zu nett. Von mir hatte sie das definitiv nicht …

 

 

 

Ich war gerade dabei, den Tisch im Esszimmer zu decken, als es klingelte. Innerlich verkrampfte ich mich, als ich Liams weiche, melodische Stimme aus der Eingangshalle hörte. Kurz darauf tauchte der blonde 23-jährige in der Tür auf.

 

Wie immer strahlte er über das ganze Gesicht. Er sah stets aus, als käme er direkt vom Strand mit seinen ohrlangen, lockigen strohblonden Haaren und den viel zu engen Shirts. Und leider sah er auch wie jemand aus, der sein Leben nicht so ganz auf die Reihe bekam. Was auch stimmte. Er hatte angefangen, Psychologie zu studieren, aber seit eineinhalb Jahren verdingte er sich als Stadtführer und Barkeeper. So hatten sie einander auch kennengelernt. Die beiden waren schon etwa ein halbes Jahr ein Paar, doch Dita hatte über drei Monate gebraucht, bis sie ihn mir vorgestellt hatte. Ich schätzte mal, ihre große Liebe war Liam nicht. Nun, ehrlich gesagt: Ich hoffte es.

 

»Hi Mr. Harrington«, begrüßte er mich und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu.

 

Ich hatte ihm das Du nicht angeboten und er hatte auch nicht darum gebeten. So war es mir lieber. Ich rang mir ein Lächeln ab, aber das sah wahrscheinlich eher beängstigend aus. Ich war kein guter Schauspieler.

 

»Liam«, sagte ich und drückte seine Hand so fest, dass er ein bisschen zusammenzuckte.

 

»Hey, wow. Das riecht fantastisch!«, freute Liam sich.

 

Ich sah an ihm vorbei zu Dita. Diese beobachtete uns amüsiert. »Setz dich doch schonmal, Liam«, sagte sie und deutete auf den Platz am Kopfende. Das war eigentlich mein Platz.

 

Gemeinsam gingen Dita und ich in die Küche. Sie nahm die Pfanne vom Herd, ich das Tablett mit den Getränken.

 

»O, ich hab Liam noch gar nicht davon erzählt, dass wir nächste Woche Sonntag zu den Giants gehen«, flüsterte sie, während sie vor mir wieder ins Esszimmer ging. »Ich wette, er wird sowas von begeistert sein.«

 

»Vorsicht, Heartbreaker. Du spielst mit dem Feuer.«

 

»Ist meine Spezialität«, lachte sie.

 

Dita setzte sich rechts von Liam, ich ihr gegenüber. Ich schaute zu, wie sie ihren Stuhl ein bisschen weiter in seine Richtung rückte.

 

»Dann mal guten Appetit«, wünschte sie uns.

 

Liam meinte anscheinend, er müsste noch ein bisschen mehr Lob verteilen. »Das sieht so lecker aus!«

 

»Danke, Liam«, raunte ich tonlos und schaute stur auf meinen Teller hinunter.

 

Das ganze Essen über versuchte Liam ein Gespräch mit mir anzuzetteln. Er gab sich wirklich große Mühe, das musste man ihm lassen. Aber ich war sehr wählerisch, was meine Gesprächspartner und auch die Themen anging. Das Letzte, was ich brauchte, war jemand, der mir Komplimente machte. Mit Schmeicheleien erreichte man bei mir nur eines: meine Abneigung.

 

Irgendwann gelangte Liams Schleimerei zu einem vorläufigen Höhepunkt, als er sagte: »Ich hab übrigens den Artikel im Economist über Sie gelesen. Total beeindruckend, echt.«

 

»Was genau fandest du beeindruckend?«, entgegnete ich, ohne von meinem Essen aufzusehen. »Die ganzen Zahlen?«

 

Liam stockte. Dann lachte er leicht. Er wusste wohl nicht, was er mit dieser Frage anfangen sollte. »Ich meine, wie schnell Sie aus dieser bankrotten Firma ein echtes Imperium aufgebaut haben. Und wie Sie Ihre Konkurrenten plattgemacht haben. Und so weiter.«

 

»Mh«, machte ich und lugte zu Dita hinüber. Ihr Blick war ein bisschen vorwurfsvoll. Also ließ ich mich zu einem »Diese Geschichten machen alles viel dramatischer, als es eigentlich war« hinreißen.

 

»Am Montag wird mein Dad übrigens vom Time Magazin interviewt«, sagte Dita grinsend.

 

Liam flippte aus. »O wow! Wahnsinn! Echt?!«

 

»Ja«, antwortete ich, wobei ich Dita anblitzte.

 

»Das ist ja super! Ich werde das auf jeden Fall lesen.«

 

»Darüber wird sich das Time Magazin bestimmt freuen«, erwiderte ich.

 

Dita japste belustigt. Aber dann tat sie, als hätte sie sich verschluckt.

 

Zunächst war ich sehr dankbar, dass Liam seine Aufmerksamkeit endlich Dita widmete. Sie sprachen darüber, was sie zusammen unternehmen könnten, welche tollen Partys anstanden und wie es sein würde, wenn sie dann weit weg in Boston wäre.

 

Ich hörte nur halbherzig zu.

 

Irgendwann schob Liam seine Hand über den Tisch. Seine Finger strichen über Ditas Daumen, wanderten weiter, über ihren Handrücken. Zärtlich streichelte er ihr über den Unterarm.

 

Rasch senkte ich den Blick. Es drückte in meiner Brust.

 

Ich war viel zu empfindlich, wenn es um Dita ging. Das sagte ich mir immer wieder.

 

Liam war ein harmloser, lieber Kerl. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass Dita einen halbwegs normalen Männergeschmack hatte.

 

Aber die Wahrheit war: Keiner erschien mir gut genug für sie.

 

Schließlich stand ich auf. »Ich wünsche euch einen schönen Abend«, sagte ich und trug meinen Teller in die Küche.

 

Dort angekommen, bemerkte ich, dass mein Herz fest pochte. Ich blieb unschlüssig stehen und stieß ein ärgerliches Brummen aus.

 

So schlimm war Liam nun wirklich nicht, erinnerte ich mich. Wieder und wieder.

 

Ich verdrängte die Einsicht, dass das eigentliche Problem rein gar nichts mit Liam zu tun hatte. Ich verdrängte – so wie ich das seit Monaten tat. Und inzwischen war ich darin meistens ganz gut.

 

 

 

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