Black As Night: Geliebter Feind


Prolog: Wie lange noch, Mr. Radjev?

 

Meine Hand zitterte leicht, als ich sie auf seinen Oberschenkel legte. Ich spürte seine Körperwärme durch seine Anzughose. Er durfte meine Aufregung auf keinen Fall bemerken. Dieses Zittern war verräterisch. Also drückte ich noch etwas fester zu.

 

 

 

Er drehte sein Gesicht zu mir. Ein sehnsüchtiges Lächeln lag auf seinen Lippen. Seine Augen glänzten wild in den letzten Sonnenstrahlen dieses schwülen Sommertags.

 

 

 

Dieser Idiot hatte sich doch tatsächlich ein bisschen in mich verliebt.

 

 

 

Ich ließ die Lider ein Stück herabfallen, hob die Mundwinkel und legte meinen Kopf ein Stück in den Nacken.

 

 

 

Wie erwartet glitt sein Blick tiefer. Über meinen langen, schlanken Hals. Bis zu meiner Kehle.

 

 

 

In Mr. Radjevs psychologischen Profil stand, dass er machtbesessen war. Er wollte nicht nur kontrollieren, nein, er wollte besitzen. Zum Beispiel teure Sportwagen, Villen auf der ganzen Welt, schöne Frauen.

 

 

 

Er besaß sehr viele Dinge. Vor allem mehr als ihm zustand. Und bald schon, sehr bald, würde er das alles verlieren – und dann auch noch seine Freiheit.

 

 

 

Mein Puls schlug schneller. Er dachte wahrscheinlich, das läge an ihm. Dabei war er in meinen Augen kein attraktiver Mann, nicht einmal irgendein Mann, sondern nur ein Verbrecher. Und ich war es, die ihn zur Strecke bringen würde.

 

 

 

Er glaubte, er hätte mich gejagt und erlegt. Aber in Wahrheit war er meine Beute.

 

 

 

»Näher!«, sagte die Stimme in meinem Ohr. »Rücken Sie näher! Los!«

 

 

 

Mein Chef, Mr. Bower, war eigentlich nur Zaungast. Er überschätzte sich allerdings gerne und glaubte nun, mir Ratschläge über den Stecker in meinem Ohr geben zu müssen. Dabei wusste ich sehr viel besser als er, was ich tun musste, um mein Ziel zu erreichen.

 

 

 

Das Wichtigste war, dass Victor Radjev ruhig blieb, ahnungslos. Victor Radjev, das war der Name dieses Mannes, den die Vorstellung anmachte, mir die Kehle zu zerreißen.

 

 

 

Wochenlang war ich in diesem Fall völlig auf mich allein gestellt gewesen. Doch heute Nacht stieg die große Party. Wir hatten genug Beweise, um ihn anzuklagen. Und außerdem befanden sich Victor Radjev, alle seine engsten Vertrauten und Mitwisser an einem Ort, von dem es kein Entkommen gab. Nämlich auf seiner Yacht.

 

 

 

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie die Lichter der italienischen Küstenstadt immer kleiner und blasser wurden. Wenn wir weit genug draußen waren, dann konnte der Zugriff stattfinden. Aus der Luft mit Helikoptern, vom Wasser mit Schnellbooten und vom Land her mit Scharfschützen, die das Geschehen genau im Visier hatten.

 

 

 

»Du bist so wunderschön, Maria!«, keuchte Victor und dann beugte er sich vor.

 

 

 

Seine Lippen wanderten über meine Halsbeuge. Höher. Bis zu meinem Kiefer.

 

 

 

Der Job verlangte, dass ich Dinge tat, die ich nicht wollte, mit Männern, die ich nicht mochte. Aber man gewöhnt sich an alles mit der Zeit. Ich behielt immer die Opfer dieser Männer im Kopf. Ich tat das für sie. Für diejenigen, die gelitten hatten.

 

 

 

Mr. Radjev presste seine Lippen auf meine.

 

 

 

Und, ganz ehrlich, diesen Kuss genoss ich sogar. Denn es war der allerletzte, den er mir je geben würde.

 

 

 

Endlich.

 

 

 

Dunkelheit.

 

 

 

»Zugriff!«, schrie die Stimme in meinem Ohr.

 

 

 

Dann brach der Sturm los.

 


Kapitel 1: Ein neuer Fall