Der Millionär und die Praktikantin

 

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»DU erdrückst mich. Ich fühle mich wie eine Gefangene.« Claires Augen waren feucht. Für sie war dieses Gespräch offensichtlich sehr viel schwerer als für mich.

 

»Und?«, erwiderte ich und war selbst davon überrascht, wie ruhig meine Stimme war. »Was soll das heißen? Trennst du dich?«

 

»Ich liebe dich, John!«, brach es aus ihr heraus. Tränen rannen ihr über die Wangen. »Aber ich kann einfach nicht mehr.«

 

Claires Brust hob und senkte sich heftig. Ihre Stimme war heiser, ihre Hände zitterten. Doch ich saß ganz ruhig da und sah sie stur an. Es war nicht so, dass ich eine Erklärung von ihr erwartete. Für mich wäre es völlig okay gewesen, wenn sie einfach gegangen wäre. Aber offenbar fand sie, sie müsste sich rechtfertigen.

 

»Bestimmt wird es irgendwann besser«, wisperte sie und ließ den Kopf sinken. »Ich brauche Zeit. Für mich. Verstehst du?«

 

»Ich verstehe«, sagte ich sachlich und nickte knapp. »Du weißt, wo die Tür ist.«

 

Es dauerte einen Moment, bis Claire verstand. Ihre Augenlider weiteten sich. Sie war entsetzt.

 

Was hatte sie denn bitte erwartet? Dass ich betteln würde? Dass ich sie anflehen würde? Dass ich vor ihr auf Knien rutschen würde? Sie überschätzte sich. Oder sie überschätzte zumindest meine Gefühle für sie.

 

»Das war es also?«, keuchte sie. Mit ihren zierlichen Fingern strich sie sich ihr Haar zurück. Selbst auf diese Entfernung stieg mir der Duft ihres Shampoos in die Nase. Ihr Geruch hatte mich damals wirklich verrückt gemacht. Jetzt spürte ich einfach nichts mehr.

 

Ich zuckte die Achseln. »Das war deine Idee, nicht meine.«

 

Claires Gesichtsausdruck veränderte sich. Ihr Entsetzen verwandelte sich in Bitterkeit. »Alle haben immer gesagt, dass ich mich nicht auf dich einlassen soll. Sie haben gesagt, du wärst gar nicht dazu fähig, irgendjemanden zu lieben. Und sie hatten Recht.«

 

Falls sie mich damit verletzten wollte, war das ein ziemlich lausiger Versuch. Ich hatte schon sehr viel schlimmere Dinge über mich gehört. Aber doch fragte ich mich, wie es nur sein konnte, dass Claire mich so wenig kannte.

 

Tatsache war: Ich hatte sie nie belogen. Ich hatte nie behauptet, dass ich sie lieben würde. Denn das tat ich nicht.

 

In diesen vier Monaten hatten wir viele Tage und noch mehr Nächte miteinander verbracht. Aber das traf auch auf so viele andere Frauen vor ihr zu. Hatte Claire sich denn nie gefragt, was aus denen geworden war? Sie wusste wohl nicht, wie oft ich genau das hier schon erlebt hatte.

 

Es lief immer gleich ab: Anfangs waren die Frauen fasziniert von mir, dann verliebten sie sich. Mit der Zeit aber erkannten sie, dass meine harte, gefühlskalte Fassade einfach nicht bröckelte. Warum auch? Ich machte niemanden was vor. Ich war auch in meinem tiefsten Innern dieses arrogante, rücksichtslose Arschloch. Ich hatte kein Herz aus Gold.

 

 

 

What you see is what you get …

 

 

 

»Tja«, raunte ich düster, »dann hättest du wohl besser auf die anderen hören sollen.«

 

Claire schluckte schwer. »Das hätte ich.« Als sie von der Couch aufstand, musste sie sich an der Lehne festhalten. Ihre Knie waren weich, ihr Gang schwach. Offenbar war sie kurz davor zusammenzubrechen. Aber Claire besaß zu viel Stolz und Klasse, um das vor meinen Augen zu tun.

 

»Irgendwann wirst du feststellen, dass du niemanden mehr hast«, flüsterte Claire zum Abschied, doch schaffte es nicht mich anzusehen. »Und du wirst bereuen, dass keiner für dich da ist, wenn du jemanden brauchst. Niemand wird da sein, weil du jeden wie Dreck behandelt hast.«

 

Ich lauschte auf das Klackern ihrer Absätze, die immer leiser wurden. Dann hörte ich, wie sie die Tür öffnete und ganz vorsichtig schloss.

 

Sie war gegangen. Und ich war wieder allein.

 

An die Einsamkeit hatte ich mich schon lange gewöhnt. Und ich hatte mich mittlerweile auch daran gewöhnt, verlassen zu werden.

 

Mit einem gereizten Seufzen ließ ich mich zurücksinken und schaute aus dem Panoramafenster. Nassgraue Regenwolken zogen am Himmel hinweg. Die Skyline von Seattle war in einen düsteren Nebel gehüllt.

 

Ich war schon oft gefragt worden, warum ich hier blieb. In dieser kalten, verregneten, windigen Stadt. Ich hätte doch auch in einem Haus am Strand leben können, irgendwo in der Karibik. Aber die Wahrheit war: ich mochte den Regen und den Sturm und die frostigen Winter.

 

Es gab viele Menschen, denen ich ein Rätsel war. Viele konnten auch nicht verstehen, warum ich nicht längst verheiratet war. Mit einer schönen, klugen, eleganten Frau. Dafür gab es drei Gründe:

 

Der erste und wichtigste war, ich genoss meine Unabhängigkeit. Kompromisse waren nichts für mich. Wenn man lange genug allein ist, verlernt man, sich auf andere einzulassen.

 

Der zweite war, dass mir absolut klar war, dass diese besagte Frau mich wohl vor allem meines Geldes wegen mögen würde.

 

Und der dritte Grund war, dass mir nie eine Frau begegnet war, für die ich ernsthaft etwas empfunden hätte. Liebe war Einstellungssache. Genauso wie gebrochene Herzen und Sehnsucht.

 

Es gab nur eine Sache, die Männer und Frauen wirklich miteinander verbinden konnte. Nämlich Begierde.

 

Ich hatte viele Frauen begehrt. Aber das bedeutete ja noch lange nicht, dass man deswegen den Rest des Lebens miteinander verbringen musste.

 

ఈఖథ

 

- 2 -

 

 

 

 

 

MEINE Mutter war der Meinung, ich müsste ihr dankbar sein. Aber das war ich nicht. Sie hatte über meinen Kopf hinweg entschieden. Mir war klar, dass sie es gut meinte. Trotzdem tat es weh.

 

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit das war«, seufzte sie. »Es hat nur noch gefehlt, dass ich vor ihm auf die Knie gegangen bin. Das hätte er wahrscheinlich gerne gesehen. Wer weiß.« Kichernd stocherte sie in ihrem Salat herum.

 

»Wie lange geht dieses … Praktikum? Vier Wochen?«, fragte ich hoffend.

 

»Nein!« Meine Mutter machte große Augen. »Bis zum Ende der Semesterferien.« Als ihr auffiel, wie niedergeschlagen ich war, machte sie ein mitfühlendes Gesicht. »Ja, ich weiß, in deinem Alter sind drei Monate eine lang Zeit. Aber du wirst sehen, es geht schneller rum als du denkst. Und dann bist du wieder hier und alle werden dich beneiden. Normalerweise würdest du so ein Praktikum nie bekommen. Denk dran! Das ist eine unglaubliche Chance. In deinem Lebenslauf wird das toll aussehen! Die Firmen werden sich um dich reißen!«

 

Langsam nickte ich vor mich hin. Eigentlich war ich eine echte Frohnatur. Aber mir schien es, als hätte meine Mutter einen heimlichen Spaß daran, mir die Laune zu verderben.

 

»Und ich bin mir sicher, Finn wird auf dich warten«, fügte sie hinzu und zwinkerte.

 

Immerhin, dachte ich. Immerhin erwähnte sie meine Beziehung mit Finn überhaupt. Dabei war mir bewusst, dass das für sie nur eine Randnotiz war. Ich war 21, aber für meine Mutter war ich ein kleines Mädchen. Sie dachte wohl, das mit Finn und mir würde nicht lange halten. Sie selbst war auch nicht gerade eine Expertin für langfristige Beziehungen. Mit meinem Vater hatte sie es zumindest knapp vier Jahre ausgehalten. Das war die längste Beziehung, die sie je geführt hatte.

 

Ich vermutete, sie freute sich insgeheim, dass sie drei Monate freie Bude haben würde. Ihr derzeitiger Partner, Derek, war ziemlich oft hier. Die beiden bemühten sich, leise zu sein. Aber ich konnte trotzdem alles mithören. Er nannte sie Pony und sie ihn Bär. Immerhin das würde mir in diesen drei Monaten erspart bleiben. Allerdings – wer wusste schon, wie dieser Mann seine Nächte verbrachte …

 

»Ich habe das Flugticket schon besorgt«, sagte meine Mutter, als ich stumm blieb. »Für Samstag.«

 

»In zwei Tagen?!«, platzte es aus mir heraus.

 

Meine Mutter schien zu meinen, dass ich mich anstellte. »Lange genug, um deine Klamotten zu packen, oder?«

 

»Puh«, machte ich total überrumpelt.

 

»Du triffst dich doch sowieso gleich mit Olivia. Kauf dir noch ein paar schöne Sachen. Du weißt ja: In der Chefetage kannst du nicht mit deinen ausgetretenen Chucks und alten T-Shirts rumlaufen. Mein Bruder würde dir das nie erlauben.«

 

»Schon klar«, murmelte ich.

 

 

 

 

 

 

Pünktlich um kurz nach 14 Uhr klingelte Olivia an der Tür. Ich war schon startbereit und trat zu ihr nach draußen. Wir umarmten uns fest.

 

Olivia war meine beste Freundin. Und das bedeutete mir unglaublich viel. In meiner Kindheit und Jugend war ich so oft umgezogen, dass ich nie lange Freundschaften gehabt hatte. Aber Olivia und ich waren Seelenverwandte. Uns konnte nichts trennen.

 

»Du siehst ein bisschen gestresst aus«, fiel Olivia auf, als wir Richtung U-Bahn liefen.

 

Meine Mutter und ich wohnten in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung in einem sehr lebendigen Viertel. Hier waren vor allem Studenten und junge Familien Zuhause waren. Ich fühlte mich unglaublich wohl. Es war bunt, laut, etwas chaotisch. Olivia wohnte nur zwei Blocks weiter. Und so hatten wir uns auch kennengelernt.

 

»Das bin ich«, erwiderte ich und kniff die Lider zusammen, als die Spätsommersonne hinter einem Puffwölkchen hervorkam. »Ich habe dir doch von diesem Praktikum erzählt.«

 

Olivias grüne Augen wurden größer. »Ich dachte, du hast schon eine Stelle.«

 

»Die war meiner Mutter nicht gut genug«, brummelte ich. »Sie hat entschieden, dass ich das Praktikum bei ihrem Bruder in Seattle machen soll.«

 

»Diesem superreichen Immobilienmogul?«, fragte Olivia.

 

»Ja.«

 

»Ist doch vielleicht ganz cool, oder?«

 

»Ich weiß nicht. Ich werde mit ihm … zusammenwohnen. Dabei kenne ich ihn überhaupt nicht.«

 

»Er ist dein Onkel.«

 

»Rein technisch ist er das nicht.«

 

Olivia hob die Brauen.

 

»Er wurde adoptiert«, erklärte ich und zuckte die Achseln. »Ich weiß wirklich so gut wie nichts über ihn.«

 

»Hast du ihn noch nie gesehen?«

 

»Zweimal. Aber das ist schon Jahre her«, erwiderte ich und schüttelte den Kopf. »Er ist für mich ein fremder Mann. Und ich soll bei ihm wohnen?!«

 

Olivia fuhr sich nachdenklich durch ihr gelocktes, schwarzes Haar. Dann zog sie die Mundwinkel herunter. »Ok, das ist ein bisschen schräg.«

 

»Meine Mutter sieht das nicht so. Sie denkt nur an meinen Lebenslauf

 

»Na ja, da er dein Onkel ist, wirst du bestimmt ein 1A-Zeugnis bekommen. Das ist nicht schlecht. Dann kannst du einfach ein paar Wochen die Beine hochlegen.«

 

»Ganz so sicher bin ich mir nicht. Alles, was ich bisher über ihn gehört habe, klang nicht als wäre er besonders nett

 

»Nein?«, fragte Olivia neugierig.

 

Wir waren inzwischen an der Haltestelle angekommen. Gerade fuhr die U-Bahn Richtung City ein. Nachdem wir eingestiegen waren und uns ein gemütliches Plätzchen gesucht hatten, erklärte ich: »Normalerweise hat meine Mutter nie was mit ihm zu tun. Ich glaube nicht, dass sie im letzten Jahr auch nur einmal miteinander telefoniert haben. Zu meinen Großeltern hat er anscheinend auch keinen Kontakt.«

 

»Er arbeitet wahrscheinlich viel.« Sie stupste mich aufbauend an. »Vielleicht wirst du gar nicht so oft mit ihm zu tun haben.«

 

»Das hoffe ich«, sagte ich und schenkte Olivia dann ein schmales Lächeln. »Lass uns über was anderes reden.«

 

»Ja, zum Beispiel darüber, was ich die ganze Zeit mache, wenn du in Seattle bist. Ich hatte mich schon so auf die Ferien gefreut. Du weißt schon: Feiern, Eisessen, Shoppen und Relaxen. Aber ohne dich macht das alles nur halb so viel Spaß.«

 

»Du kannst mich ja mal besuchen kommen«, schlug ich vor.

 

»Ja. Wenn dein Onkel dich nicht aufgefressen hat, komme ich auf jeden Fall!«, lachte sie, aber wurde dann plötzlich leiser. »Weiß Finn schon davon?«

 

»Nein«, gab ich zu und machte eine bedrückte Miene.

 

»Er wird das schon verstehen.«

 

»Das hoffe ich.« Aber wirklich glauben konnte ich es nicht. Finn war sehr anhänglich. Das würde ihm bestimmt nicht gefallen.

 

 

 

 

 

 

Olivia und ich verbrachten den ganzen Nachmittag in der Einkaufsmeile. Ich gab die Hälfte meines mühsam angesparten Geldes für businessmäßige Kleider aus. Eigentlich mochte ich es ja lieber bequem und kuschelig. Aber meine Mutter hatte Recht. So konnte ich in diesem Unternehmen nicht auftauchen.

 

Meine innig geliebten Chucks würden wohl eine Weile ohne mich auskommen müssen. Zu guter Letzt investierte ich auch noch 70 Dollar in einen wasserabweisenden Windbreaker. Den würde ich in Seattle bestimmt gut gebrauchen können.

 

Vollbepackt setzten Olivia und ich uns anschließend noch in ein Café und gönnten uns einen leckeren Milchkaffee. Dann machte Olivia sich auf den Weg zu ihrem Job. Sie arbeitete dreimal die Woche als Verkäuferin in einem Copy Shop. Ich hingegen jobbte im Semester am Wochenende als Kellnerin.

 

Als ich später allein in der U-Bahn saß, hatte ich leider keine Ablenkung mehr. Nun dachte ich wieder an die bevorstehenden Monate. Ganz zufällig fiel mein Blick auf das Schild, das auf das kostenlose WLAN-Netzwerk hinwies. Und da kam mir eine Idee.

 

Ich holte mein Smartphone hervor. Kurz zögerte ich. Dann tippte ich seinen Namen ein. John Sterling.

 

Google spuckte sofort dutzende Bilder aus. Ich klickte gleich auf das erste.

 

Ich hatte ganz vergessen, wie er ausgesehen hatte. Mit meiner Mutter hatte er keinerlei Ähnlichkeit. Sie war blond, er war schwarzhaarig, sie hatte braune Augen, er strahlend blaue, ihr Hautton war hell, seiner olivfarben. Ich hatte davon gehört, was ihm passiert war. Von diesem Unglück, das ihn beinahe umgebracht hatte. Er hatte überlebt, aber die Erinnerungen daran würden nie verschwinden. Tiefe Narben verliefen von der linken Schläfe quer über die Stirn und verschwanden dann unter dem dichten, kurzen Haar.

 

Trotzdem war er in meinen Augen ein attraktiver Mann. Aus meiner Erinnerung wusste ich noch, dass er sehr groß gewesen war. Und dem Bild nach zu urteilen, war er auch sehr gut trainiert. Er hatte breite Schultern, einen muskulösen Hals. Sein Gesicht war nicht klassisch schön, aber sehr markant. Mit den tiefsitzenden Brauen, den schmalen Wangen, dem ausdrucksstarken Kiefer wirkte er stark und durchsetzungsfähig. Der Blick seiner Augen verriet, dass er es gewohnt war, dass sich alles und jeder seinem Willen beugte. Ganz ohne Frage war dieser Mann weder besonders nett noch verständnisvoll. Alles an ihm wirkte so unbeschreiblich unnachgiebig, stur, mächtig.

 

Nun hatte ich noch mehr Schiss vor Samstag. Ich war mir sicher, er würde einiges von mir fordern. Von ihm würde ich garantiert keinen Bonus bekommen, nur weil meine Mutter seine Schwester war.

 

 

 

 

 

 

Meine Gedanken an ihn spukten noch immer in meinem Kopf herum, als ich in der Dämmerung nach Hause kam. Meine Mutter war arbeiten und so war ich allein. Ich drückte mich noch eine Weile vor dem unvermeidlichen, nämlich Finn Bescheid zu sagen.

 

Im Gegensatz zu meiner Mutter und Olivia war ich mir nicht so sicher, dass er total cool bleiben würde. Wir hatten uns auf den Sommer gefreut. Finn hatte bereits Pläne geschmiedet. Er hatte mich auf einen Wochenend-Trip zu seinen Eltern einladen wollen.

 

Ja, soweit waren wir schon.

 

Allerdings hatten wir immer noch nicht miteinander geschlafen. Und das lag fraglos an mir. Ich war Jungfrau. Mit voller Absicht.

 

Es war nicht so, dass ich keine Lust gehabt hätte. Mein XXL-Vibrator und ich waren engste Vertraute. Und ich nahm auch die Pille. Aber ich war einfach noch nicht dazu bereit, meine intimsten Geheimnisse mit jemandem zu teilen. Nicht einmal mit Finn. Obwohl wir schon über ein Jahr zusammen waren.

 

Nachdem ich Abendessen gemacht und die Portion für meine Mutter kaltgestellt hatte, ging ich in mein Zimmer. Dort ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und atmete tief durch. Als ich meinte, ich hätte mich für das Gespräch gewappnet, wählte ich endlich Finns Nummer. Er nahm sofort ab.

 

»Hey meine Süße!«, meldete er sich. »Sag bloß, du hast an mich gedacht.«

 

»Das tue ich ständig«, erwiderte ich lachend. Das stimmte auch. Allerdings nicht unbedingt im Guten.

 

»Ich noch mehr. Hast du Zeit? Wir könnten was machen! Ich kann in 20 Minuten bei dir sein.«

 

»Heute besser nicht«, murmelte ich. »Ich hab noch einiges zu tun.«

 

»Das klingt aber nicht gut«, erwiderte er vorsichtig. »Was stimmt nicht? Die Klausuren sind rum, das Wetter ist spitze und das Wochenende steht vor der Tür.«

 

»Ja, es … geht um dieses Praktikum.«

 

»Was stimmt damit nicht?«

 

Ich holte schwer Luft. »Die Dinge haben sich geändert. Ich werde das Praktikum in Seattle machen.«

 

Es entstand eine lange Pause. »Seattle?«, wiederholte Finn ungläubig. »Warum?«

 

»In der Firma meines Onkels. Normalerweise würde ich da nie einen Platz bekommen. Aber dieses Praktikum ist wichtig. Für später.«

 

»M-hm«, machte er brummelnd und schwieg dann wieder. »Und seit wann weißt du das?«

 

»Ehrlich gesagt, seit heute Mittag.«

 

»Das wird ja nicht einfach so angeflogen gekommen sein.«

 

Nun wurde er also zickig. Allerdings konnte ich ihm das nicht wirklich verdenken. Er hatte sich schon darauf gefreut, dass wir uns jeden Tag sehen konnten. »Meine Mutter hat sich darum gekümmert.«

 

»Du hattest doch schon eine Stelle. Bei der hättest du doch bleiben können.«

 

Darauf fiel mir so schnell nichts ein. Natürlich war das Praktikum in Seattle viel prestigeträchtiger. Aber das war nicht alles. Meine Mutter war einfach sehr bestimmend und ich … tja, ich gab meistens nach. Vielleicht fühlte ich mich ihr gegenüber schuldig.

 

Mein Vater war abgehauen. Er war gegangen und hatte nicht nur meine Mutter, sondern auch mich verlassen. Aber sie war geblieben. Sie hatte für mich gesorgt. Sie hatte das ganz allein getan.

 

Sicher, sie war meine Mutter. Aber wenn ein Vater einfach verschwinden konnte, warum dann nicht auch eine Mutter? Ich war ihr dankbar. Und ja, ich hatte ihr gegenüber auch manchmal ein schlechtes Gewissen. Tatsache war zumindest, dass ich es ihr nicht schwerer als unbedingt nötig machen wollte. Ich war immer ein pflegeleichtes Kind gewesen. Oder zumindest hatte sie von meinen Fehltritten – Kiffen, Trinken, wilde Partys, noch wilderes Rumknutschen – nie etwas mitbekommen. Vielleicht hatte ich einfach Angst, sie auch noch zu verlieren.

 

»Deine Mom hat das einfach für dich entschieden, oder?«, fragte Finn aufgebracht. »Und du konntest natürlich nicht Nein sagen!«

 

»Es sind nur drei Monate«, erinnerte ich ihn und mir fiel es wirklich schwer, nett zu bleiben.

 

»›Nur?!‹ Das ist verdammt lang! Und außerdem auch verdammt kurzfristig!«

 

»Ich weiß. Tut mir leid.«

 

»Ich finde, in einer Beziehung sollte man Rücksicht aufeinander nehmen. Du hast gewusst, wie sehr ich mich auf die Ferien gefreut habe.«

 

»Ich kann es aber nun mal nicht ändern. Du könntest dich auch mit mir freuen. Das ist eine riesige Chance für mich, Finn.«

 

»Ja ja, das freut mich sehr für dich«, grummelte er und schnaubte ärgerlich. »Egal. Lass uns wann anders reden. Ich hab zu tun.«

 

»Ok«, flüsterte ich, aber er hatte schon aufgelegt. Seufzend ließ ich mich zurücksinken und vergrub meinen Kopf in den Kissen.

 

Das war wirklich nicht gut gelaufen.

 

ఈఖథ